Impuls von Dörte Massow

(Ökumenisches Forum HafenCity) zur weiblichen Seite der Barmherzigkeit

_MG_0388Barmherzigkeit ist ein Beziehungsbegriff und beschreibt Gottes eigene Gerechtigkeit und bringt sie zur Verwirklichung. Sie ist Handlung und Haltung, die über jedes gegenseitige Treuverhältnis hinausgeht, ein unerwartbares und unverdientes Geschenk von Gottes Gnaden, das sich in Mitgefühl und Langmut, in Gunst und Freundlichkeit, in milder Güte und huldvoller, heilender Zuwendung ausdrückt.

Der weibliche Charakter der Barmherzigkeit ist in mehreren Sprachen aus verschiedenen Ursprungswörtern abzuleiten, und zwar aus dem althochdeutschen „barms“ und der altenglichen Wortwurzel „bearm“, das Schoß und Busen heißt, als auch aus dem Verb „barmen“, das „Mitleid empfinden“ oder „Mitleid bekommen“ und „ernähren“ heißt. Die Grundbedeutung von „irbarmen“ ist laut Wikipedia: „ein Kind auf den Schoß setzen/ an die Brust legen samt dem dazugehörigen Gefühl“.

Bedeutende christliche Theologinnen wie z.B. die Feministin Sylvia Schroer, und Theologen, wie z.B. der Kirchenvertreter Walter Kardinal Kasper, erklären vielfältig die Qualität von Barmherzigkeit aus der in der Bibel genutzten Sprache. *1) und machen deutlich, wie die Ursprungsworte aus der weiblichen Körper- und Erfahrungswelt entnommen sind und von daher inhaltlich zu verstehen sind.

Das erste Testament kennt für Barmherzigkeit ebenso wie für Mitleid vor allem das Wort „rachamim“, abgeleitet von „rechem“, das heißt Mutterschoß. Die Bibel in gerechter Sprache nennt sie „Mutterliebe“. Die feministische Theologin Ina Praetorius *2)erkundet die Spur des Erbarmens in der Bibel und bei großen Theologen . Sie nennt Erbarmen „die Hülle und Fülle des mutterschößigen , alles umfassenden Großenganzen“ (Ps 36, 6-10a). Weitere Theologen wie Martin Buber übersetzen mit „erbarmender Busen“ . Alle Übersetzer beziehen sich auf das hebräische Wort “rachamim“ , das verwandt ist mit dem arabischen ar-Rachim und ar-Rachman und auf die Wurzel rhm zurückgeht. Rhm verweist, wie die lateinische Matrix, auf den Mutterschoß, die Gebärmutter. Rachamim ist der Plural des menschlichen Organs, das dazu dient, Neulinge in bezogene Freiheit zu entlassen, und das sich im Schmerz zusammenzieht, wenn sie leiden. Die Theologin Sylvia Schroer *3) übersetzt rachamim als Mutterschößigkeit. In den Aufgaben des inneren und äußeren Mutterschoßes zeigt sich der Ursprung von Barmherzigkeit, wie sie im weiblichen Körper konkret wird. Die Gebärmutter schützt und gibt Geborgenheit, nährt vor der Geburt mit Luft, Wasser, Liebe und lässt ununterbrochen wachsen, wärmend und aller Sorgen enthebend. Der Schoß gibt schließlich den neuen Menschen unter Schmerzen frei, sobald er oder sie unter Raumnot im Mutterleib leidet. Der äußere Mutterschoß nimmt das Geborene auf, gibt ihm Rückhalt für das allmähliche Erkennen der Welt und die Wahrnehmung seiner selbst als handelndes und verantwortliches Gegenüber und bietet muttermächtig Rückbindung an bei den Schritten in die Freiheit des Selbst-Seins.

Die weibliche Seite Gottes wird in seiner Barmherzigkeit als Beziehungsgeschehen mit ganz besonderer Qualität erfahrbar. Für uns Christen beschreibt Gottes mutterschößige Barmherzigkeit auch seine Identität als dreifaltiger Gott, wie sie lebendige Beziehung ist zwischen Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Der Gott des Alten Testamentes mit seinem sich immer neu ereignenden Sein und Namen als „Ich-bin-da“ und die Nachfolge Jesu mit seinem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe und die lebendige Kraft des Heiligen Geistes wecken in den Christen Barmherzigkeit, aus der heraus sie in christlichen Gemeinschaften, Gemeinden und Kirchen füreinander sorgen und für andere Menschen Verantwortung übernehmen.

Seit dem vierten Jahrhundert entstanden kirchliche Werke der Caritas und der Diakonie, Klöster und Krankenhäuser der Nächstenliebe, durch die Arme und Bedürftige von christlichen Gemeinschaften versorgt wurden. Über die Maßen sind es Frauen, die in den Werken der Barmherzigkeit arbeiten und dort professionell und auch ehrenamtlich die biblischen Gebote der Barmherzigkeit umsetzen.

Die sieben geistlichen und sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit (Wikipedia)

Sie umfassen verschiedene alt- und neutestamentliche Gebote, ohne dass sie einer einzelnen Bibelstelle zuzuweisen wären.

  • Geistliche Werke der Barmherzigkeit:
    • die Unwissenden lehren
    • die Zweifelnden beraten
    • die Trauernden trösten
    • die Sünder zurechtweisen
    • den Beleidigern gern verzeihen
    • die Lästigen geduldig ertragen
    • für die Lebenden und Verstorbenen beten
  • Leibliche Werke der Barmherzigkeit:
    • Hungrige speisen
    • Obdachlose beherbergen
    • Nackte bekleiden
    • Kranke besuchen
    • Gefangene besuchen
    • Tote begraben
    • Almosen geben

Biblische Quellen: Buch Tobit Tob 1,17–20 , Tob 4,5–11 , Jesus Sirach Sir 17,22 und Matthäus Mt 6,2–4 , Aus der sogenannten Endzeitrede Jesu in Matthäus Mt 25,34–46

Literaturquellen:

*1)Walter Kardinal Kasper, Barmherzigkeit – Grundbegriff des Evangeliums – Schlüssel christlichen Lebens, Herder Verlag, Freiburg 2012, S. 50 f ; *2) Ina Praetorius, Erbarmen, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2014, S.38 , *3) Sylvia Schroer und Thomas Staubli, „Körpersymbolik der Bibel“, Gütersloh 2005 ;